close

Willkommen auf unserer digitalen Leseplattform – Bitte wählen Sie Ihre gewünschte Region aus

The Magazine
Management. Expertise. Inspiration.

Date: 10/06/2020

Title: COVID-19 als Treiber für die digitale Transformation

Teaser: Wie Spitäler die Corona-Krise zukünftig positiv nutzen können

Button: Lessons Learned aus COVID-19

Image:

graphic

COVID-19 als Treiber für die digitale Transformation

Wie Spitäler die Corona-Krise zukünftig positiv nutzen können

Autoren: Matthias Mettler | Ralph Baumgartner

Die COVID-19 Pandemie bringt die Defizite im Schweizer Gesundheitssystem schonungslos an die Oberfläche

Die COVID-19 Pandemie  hat das Schweizer Gesundheitswesen einer starken Belastungsprobe ausgesetzt. Die Pandemie zeigte auf, dass Konzepte und Prozesse, welche in der Theorie funktionieren, in der Praxis schnell an ihre Grenzen stossen (z.B. anfängliches Fax-Corona-Meldeformular, welches schnell zu Überlastung im BAG führte). Ausserdem waren die Pandemiekonzepte des Bundes nur ungenügend vorbereitet, es fehlte an notwendigem Hygienematerial und es wurde deutlich, dass es nach wie vor grosse Abhängigkeiten vom Ausland hinsichtlich wichtigem medizinischem Verbrauchsmaterial wie beispielsweise Atemschutzmasken oder Überschürzen gibt.

Die aktuellen Infektionszahlen geben immerhin Grund zum Optimismus, dass die drastischen Massnahmen des Lockdowns Wirkung zeigen und wohl keine zweite Welle im Verlaufe der zweiten Jahreshälfte droht. Es besteht Hoffnung, dass bald wieder etwas mehr Normalität in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenleben einkehrt. Auch das Schweizer Gesundheitswesen scheint mit einem «blauen Auge» davon gekommen zu sein. Die anfänglich zögerliche Führung durch den Bund und die Kantone ist einem starken und konsequenten Führungsstil mit zielorientierten Massnahmen gewichen, und der prophezeite Ansturm auf Spitäler hinsichtlich der Behandlung von Corona-Erkrankten ist zum Glück ausgeblieben. Positiv zu erwähnen ist, dass die Betten-Kapazitäten durch die Errichtung zahlreicher Notspitäler oder durch verzögerte Baumassnahmen (z.B. vertagter Abriss des ausgedienten Frauenfelder Spital-Bettenhochhauses) schnell hochgefahren werden konnten. Auch hinsichtlich den Anstrengungen für ein langfristiges COVID-Tracing (z.B. mittels entsprechender Smartphone App) ist die Schweiz weltweit gesehen gut unterwegs, da einige gute und zielführende Initiativen lanciert wurden.

Dennoch können wir aus der COVID-19 Pandemie bereits jetzt das Fazit ziehen, dass unser Gesundheitswesen dringend transformiert werden muss. Insgesamt betrachtet war der Veränderungsdruck im Gesundheitssystem bislang offenbar zu tief und der Fokus auf die digitale nachhaltige Transformation des Gesundheitssystems zweitrangig. Die Pandemie hat aufgezeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen in wichtigen gesundheitlichen und gesundheitspolitischen Fragestellungen eine Herausforderung darstellt. Zudem besteht nach wie vor eine geringe digitale Vernetzung zwischen den Akteuren der Gesundheitsversorgung, die auf die Wahrung von Partikularinteressen und Fehlanreizen zurück zu führen ist. Symptomatisch hierfür ist die erneute halbjährige Verzögerung der Einführung des elektronischen Patientendossiers in den Spitälern, welches trotz zehnjährigem Planungshorizont in der Schweiz nicht planmässig eingeführt werden konnte. Unser Gesundheitswesen leidet unter veralteten Konzepten und Gesetzen, Fehlanreizen, zu vielen analogen Prozessen und unter ineffizienter Interaktion zwischen den medizinischen Leistungserbringern. Defizite, die durch COVID-19  drastisch offengelegt wurden.

Lessons Learned aus der COVID-19 Pandemie für stationäre Leistungserbringer im Schweizer Gesundheitssystem

Nachfolgend beschreiben wir einige Beobachtungen im Detail, welche wir in unserem Beratungsalltag respektive im Einsatz in Linienfunktionen bei stationären Leistungserbringern beobachten konnten.

Fehlende digitale Vernetzungsmöglichkeiten mit Patienten

Die COVID-19 Pandemie hat gezeigt, dass gegenwärtig nicht nur die Spitäler, sondern generell viele medizinische Leistungserbringer nur bedingt fähig sind, sich auf digitalem Wege mit dem Patienten zu vernetzen. Stellvertretend hierfür steht das Einschreiten der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH): Vor dem Hintergrund der COVID-19 Pandemie hat diese eigens ein Merkblatt zu Telemedizin verfasst, um auf die Chancen und Risiken der Telemedizin hinzuweisen. Die Telemedizin wurde bis heute in der Schweiz zu wenig gefördert. Die Fern-Beratung und Behandlung von ambulanten oder chronischen Patienten wird dadurch limitiert und unnötig verzögert. Einige Ärzte wie beispielsweise Olivier Muller, Leiter der Kardiologie am Unispital Lausanne (CHUV), haben darauf aufmerksam gemacht, dass das Mangelangebot an Telemedizin-Dienstleistungen in Kombination mit der Angst in der Bevölkerung vor der Ansteckung mit COVID-19 dazu geführt haben, dass Personen zu spät in den Notfall kamen. Als Konsequenz aus diesem Mangelangebot und aufgrund der Dringlichkeit und des Drucks zur Bewältigung der COVID-19 Pandemie sind viele Leistungserbringer auf schnell verfügbare digitale Kommunikationsdienste wie Skype, Zoom etc. ausgewichen. Diese nicht auf die klinische Nutzung ausgerichteten Dienste haben aber aufgrund des grossen Volumens anfänglich nur mit Einschränkungen funktioniert und weisen darüber hinaus nicht abschätzbare Datenschutz-Risiken auf.

Die COVID-19 Krise hat deshalb klar verdeutlicht, dass ein fehlender Einsatz oder die Anwendung von ungenügend validierten digitalen Mitteln die Kommunikation mit Patienten, insbesondere auch im Krisenfall, kompliziert oder unsicher machen kann. Viele stationäre und ambulante Leistungserbringer haben sich offensichtlich vor COVID-19 zu wenig mit den Möglichkeiten der Telemedizin auseinandergesetzt. Die Leistungserbringer sollten sich die stark gestiegene Sensibilität und Aufmerksamkeit für Telemedizin in der Schweizer Bevölkerung zunutze machen, und dringend mit der Wahl der richtigen, angepassten und vor allem sicheren digitalen Kommunikationsdienstleistungen befassen. Damit tragen sie einerseits zu einem besseren medizinischen Betreuungsangebot bei, und verringern gleichzeitig mögliche Reputations- und Datenschutz-Risiken.

Mangelnde Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten innerhalb des Betriebs

Wie eine Erhebung von Synpulse aufzeigt, setzen gegenwärtig nur sehr wenige Schweizer Spitäler auf digitale und gesicherte Kommunikationsmittel innerhalb ihrer Organisation. Viele Spitäler verwenden stattdessen die üblichen analogen Kommunikationsmittel (z.B. Diensttelefone) oder setzen auf papierbasierte Teilprozesse, die zu Medienbrüchen und somit zu Unterbrüchen in der digitalen Behandlungskette führen. Darüber hinaus kommt es häufig vor, dass medizinisches und pflegerisches Personal auf datenschutz-technisch bedenkliche Applikationen wie beispielsweise WhatsApp ausweicht, um sich schneller und effizienter zu koordinieren. Dabei gäbe es heute zahlreiche Kommunikations- und Kollaborations-Lösungen, die gezielt für den Einsatz innerhalb des Spitals und für eine rollenbasierte und patientenzentrierte Kommunikation ausgerichtet sind.

Ein weiteres Problemfeld besteht darin, dass viele der aktuell verwendeten Kommunikationsmittel meist nicht mit den klinischen Kernapplikationen vernetzt sind. Dies führt nicht nur zu Ineffizienzen, sondern kann auch Behandlungsfehler am Patienten begünstigen. Die mangelnde Einbindung in die Spital-interne Kommunikation sowie fehlende Zugriffe auf klinische Kernapplikationen erschwerten dem medizinische Fachpersonal (z.B. Spital-Ärzte, Beleg-Ärzte aber auch Konsiliar-Ärzte) insbesondere während der COVID-19 Pandemie ein Arbeiten aus der Ferne im medizinischen Kontext (z.B. Akut-, Notfall- und Nachbehandlung von Patienten).

Diese Beobachtungen sind nicht grundsätzlich neu, sondern Bestandteil von bereits seit langem bestehenden Herausforderungen in der digitalen Transformation der stationären Leistungserbringer. Vor dem Hintergrund von COVID-19 wurde jedoch mehr als deutlich, dass fehlende Effizienz und Vernetzung im Behandlungsablauf sowie ineffiziente Kommunikation zwischen dem medizinischen Personal den gesamten Behandlungserfolg beeinträchtigen können.

Unternehmenskulturelle Aspekte sowie veraltete Arbeitsmodelle und organisatorische Prozesse

Im Zusammenhang mit den mangelnden Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten innerhalb des Spitalbetriebs hat COVID-19 auch gezeigt, dass die vielfach noch vorherrschenden traditionellen Arbeitsmodelle das schnelle und unkomplizierte Hochfahren von Homeoffice (z.B. in nicht medizinischen Disziplinen wie Human Ressources, Finanzen, IT) beeinträchtigen. Einerseits verhindern unflexible und veraltete teils analoge Planungstools den einfachen Wechsel von Personal innerhalb der Organisation. Andererseits sind remote Zugänge zu administrativen Kern- und Planungssystemen oft nicht vorhanden. Diese Umstände sind Ursachen für Effizienzeinbussen in der alltäglichen Kollaboration des Personals und in der Führung des Gesamtunternehmens. Darüber hinaus führen ungenügende Standardisierung, zu wenig klar definierte Abläufe (z.B. schlechte oder kaum vorhandene Pandemiekonzepte) sowie eine fehlende Automatisierung von Prozessen zur Verlangsamung von Arbeitsabläufen und bergen die Gefahr von Fehlern.

Viele stationäre Leistungserbringer im Schweizer Gesundheitssystem haben Nachholbedarf in der Transformation ihrer Arbeitsmodelle und der entsprechenden Unternehmenskultur. Zudem liegt in der Neugestaltung der internen Kollaboration sowie der Neudefinition neuer Betriebs- und Prozessstrukturen viel Optimierungspotential. Durch die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen können stationäre Leistungserbringer noch viel, bislang nicht adressiertes, Potential mobilisieren (siehe entsprechenden Synpulse-Viewpoint zum Thema Einsatz von Software-Robotern im Spitalbetrieb mittels Robotic Process Automation).

Fehlende Partnerschaften im Schweizer Spitalwesen

Wie eingangs in diesem Artikel erwähnt, konnten einige Spitäler schnell neue Kapazitäten schaffen und dadurch dazu beitragen, dass das Schweizer Gesundheitssystem bisher nicht an seine Grenzen in der Behandlung von COVID-19 Patienten gestossen ist. Allerdings wurde bislang in der Presse und im öffentlichen Diskurs zu wenig beachtet, dass die Kapazitäten von Intensivbetten und Beatmungsplätzen nur eines der Probleme gewesen wäre. Mindestens so schwerwiegend war der Umstand, dass es an genügend und ausreichend qualifiziertem medizinischem Pflegepersonal (insb. spezialisierte Intensivpflegekräfte) für die Betreuung der COVID-19 Patienten fehlte. Einige Kantone wie beispielsweise der Kanton Zürich haben hierfür eine Personalvermittlungsplattform für medizinische Fachkräfte aufgebaut. Allerdings war diese Art der Personalvermittlung für die stationären Leistungserbringer aufgrund der nicht eingespielten Zusammenarbeitsprozesse auch nur zögerlich umsetzbar. Zudem reduzierte sie die Personalbeschaffungskosten insgesamt nicht, da die Transaktionskosten an den Kanton externalisiert wurden.

Spitäler mit starken Partnerschaften könnten sich also  für solche Personalengpässe absichern. Allerdings muss in solchen Partnerschaften zukünftig genau geregelt sein, wie eine Personalbeschaffung respektive entsprechende kurzfristige Aushilfen beispielsweise auch vor dem Hintergrund arbeitsrechtlicher Herausforderungen geregelt werden können. Zudem bieten starke Partnerschaften auch die Möglichkeit, die Abhängigkeit von Lieferanten beispielsweise bei Materialengpässen, zu reduzieren.

Neue Zielbetriebsmodelle helfen, die digitale Transformation in Spitälern einzuleiten und voranzubringen

Die COVID-19 Pandemie wird zu einem Digitalisierungsschub innerhalb des Schweizer Gesundheitswesens führen. Die begrenzten Mittel sollten jedoch zielführend und effizient eingesetzt werden, um schnell und nachhaltig Verbesserungen zu erzielen. Synpulse empfiehlt hierzu die digitale Transformation mittels der Definition und Etablierung eines Zielbetriebsmodells (Target Operating Models) initial zu planen und zu initiieren. Ein solches Zielbetriebsmodell setzt auf einer gegebenenfalls neu zu definierenden Unternehmensstrategie auf und umfasst:

  • Produkte und Dienstleistungen
  • Organisation und Prozesse
  • Technologie und IT-Architektur
  • Partnerschaften und Beschaffung

Das Zielbetriebsmodell setzt einen strategischen Handlungsrahmen fest und stellt sicher, dass die digitale Transformation innerhalb dieser vier genannten Dimensionen in klar definierten Entwicklungsrichtungen abläuft. Auf Basis eines solchen Zielbetriebsmodells kann anschliessend die digitale Transformation mittels gezielten strategischen Initiativen und Investitionen vorangetrieben werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in nächster Zeit vor dem Hintergrund der COVID-19 Pandemie und den verschiedenen beobachtbaren Einflüssen mit einem erhöhten Veränderungsdruck auf stationäre Leistungserbringer sowie generell auf das Schweizer Gesundheitswesen zu rechnen ist. Spitäler sowie weitere medizinische Leistungserbringer können jetzt mit den richtigen strategischen Entscheiden die Weichen stellen, um sich für die post-COVID-19 Marktherausforderungen optimal vorzubereiten und sich im Schweizer Gesundheitsmarkt zu differenzieren. Diese Differenzierung wird zukünftig relevant sein, ob ein Spital weiterhin Zugang hat zu erstklassigem medizinischem Fachpersonal und ob es fähig ist, über die Systemgrenzen hinaus mit Patienten, anderen Leistungserbringern, Kostenträgern und mit dem Regulator digital zu interagieren. Solche Faktoren werden zukünftig mitentscheiden, ob ein Spital weiterhin Spitzenmedizin vollbringen kann.


Über die Autoren

Ralph Baumgartner – Senior Advisor Healthcare, Synpulse. Ralph hat langjährige Erfahrung in verschiedenen Führungspositionen bei stationären Leistungserbringern. Zuletzt leitete er in einer Geschäftsleitungsposition den Geschäftsbereich «Services» bei der RehaClinic.

Matthias Mettler – Head Healthcare Practice Schweiz, Synpulse. Matthias bringt langjährige Beratungserfahrung in digitalen Transformationsprojekten im Gesundheitswesen mit. Er leitet bei Synpulse die Healthcare Practice Schweiz und betreut Projekte mit medizinischen Leistungserbringern, Kostenträgern und Regulatoren.


Kontakt

graphic

Matthias Mettler

Cookies helfen uns bei der Bereitstellung unserer Dienste. Durch die Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Mehr erfahren.
OK