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Date: 26/07/2017

Title: Ambidextrie optimal organisieren

Teaser: Unter Führungskräften in der Finanzindustrie genießt die Agilität heute höchste Priorität. Diese allein nützt jedoch nichts, wenn ineffiziente Betriebsmodelle zugrunde liegen. Es gibt keinen Königsweg, jedoch Erfolg versprechende Ansätze, Ambidextrie zu meistern. FinTechs sind gegenüber klassischen Anbietern einen Schritt weiter.

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Ambidextrie optimal organisieren

Den Spagat zwischen Effizienz und Agilität beherrschen!

Unter Führungskräften in der Finanzindustrie genießt die Agilität heute höchste Priorität. Diese allein nützt jedoch nichts, wenn ineffiziente Betriebsmodelle zugrunde liegen. Es gibt keinen Königsweg, jedoch Erfolg versprechende Ansätze, Ambidextrie1 zu meistern. FinTechs sind gegenüber klassischen Anbietern einen Schritt weiter.

Autor: Dr. Christoph Nützenadel


Ein großer Teil der Finanztechnologien wendet gegenwärtig das sogenannte Brokerage-Modell an. Ein standardisiertes Online-Angebot für Kunden, das diesen die eigenständige flexible Auswahl ermöglicht. Sie fokussieren sich dabei auf Kundenschnittstellen und entwickeln innovative Customer Journeys. Diese sollen den Klienten so große Vorteile bringen, dass sie von etablierten Anbietern zum Start-up wechseln. Doch die nicht-automatisierten Schnittstellen der FinTechs zu Versicherern führen zu Klagen: Was nützt die ganze Agilität, die die Brokerage-Modelle bieten, wenn daraus nicht effiziente Prozesse entstehen? Etablierte Finanzdienstleister stellen sich hingegen die umgekehrte Frage: Wie kann ich meiner (vermeintlich) effizienten Organisation zu mehr Agilität verhelfen? Neue Methoden und Technologien versprechen zwar Antworten, jedoch verpuffen die Möglichkeiten für mehr Agilität, wenn keine veränderungsfreundliche Organisationskultur vorherrscht.

Interessenkonflikte an oberster Stelle lösen

Innovationen sind konfliktträchtig, besonders wenn es sich nicht nur um eine marginale Verbesserung oder Erweiterung des Angebots, sondern um den Ersatz bestehender Produkte oder Dienstleistungen handelt. Die Investitionszeiträume betragen oftmals mehrere Jahre. Es muss gründlich abgewägt werden, ob es sich lohnt, zu investieren und Bestehendes ganz gegen Neues auszutauschen oder ob es ausreicht, Bestehendes nur zu ergänzen, um langfristige strategische Vorteile zu erzielen. Der Konflikt zwischen Agilität und Effizienz besteht sowohl beim Einsatz finanzieller als auch personeller Ressourcen. Abhängig von der Ressourcenverfügbarkeit müssen organisatorische Entscheidungen über Projektbudgets (z. B. Aufbau, Ablauf) und Ausgabenbudgets (z. B. IT) getroffen werden. Die Entscheidung sollte ganz oben angesiedelt werden. Denn während der Zeithorizont im mittleren Management eher eine Planungsperiode beträgt, muss das Topmanagement über ganze Strategieperioden hinausdenken. Mitunter liegt das an den Vergütungszielen. Geschäftsleitungsmitglieder werden meist anhand mehrjähriger Zielsysteme incentiviert. Zudem sollte das oberste Management ohnehin im Sinne unternehmerischen Denkens agieren und kurzfristige Nachteile in Kauf nehmen, wenn eine gesteigerte Agilität den langfristigen Erfolg «ihres» Unternehmens sichert. Hingegen stehen die darunter liegenden Bereiche teils in Konkurrenz zueinander und ihre Kosten- bzw. Effizienzziele sind kurzfristiger gesetzt. Agilität ist schwer messbar und schon gar nicht wirklich mit üblichen Bonussystemen auf Jahresbasis vereinbar. Auch Studien2 bestätigen, dass Unternehmen, die die Verantwortung für die Verteilung von Ressourcen nach unten delegieren, tendenziell weniger erfolgreich sind.

1 Ambidextrie (lat. ambo «beide»; dexter «rechte Hand») bezeichnet die Fähigkeit, gleichzeitig flexibel und effizient zu arbeiten. In der organisationalen Ambidextrie interagieren Exploitation (Ausnutzung von Bestehendem) und Exploration (Erkundung von Neuem) zu gleichen Teilen.
2 Die zwei Rollen des CEO, Michael L. Tushman, Wendy K. Smith, Andy Binns, Harvard Business Review.

Ambidextrie ist letztlich eine Kulturfrage

Interessenkonflikte können schlechterdings gelöst werden, indem man den «agilen Part» der Ambidextrie einfach delegiert. Denn es geht um eine fundierte, konstruktive Abwägung von möglichst nachhaltigen Zukunftsoptionen. Die Auseinandersetzung sollte auch kulturell positiv unterstützt werden. Das oberste Management muss sich persönlich gleichermaßen beiden «ambidextrischen» Polen widmen und Präsenz zeigen. Maßnahmen wie das Ablegen der Krawatte, das Aufgeben von Vorzimmern und Einzelbüros, direktere Kommunikation, persönliche   Teilnahme   an   Veränderungsprojekten, all das kann sehr wirksame Impulse im Unternehmen setzen und die feste Absicht demonstrieren, organisatorische Veränderungen vornehmen zu wollen, um die Agilität mit Effizienz optimal zu matchen.

Die beste Organisation für Ambidextrie

Trotz der zuvor genannten Ausführungen in Hinblick auf Kultur, Kompetenz und Kompensation ist die zentrale Frage: Wie soll eine Organisation aufgestellt werden, um gleichzeitig agil als auch effizient zu sein? Verschiedene Ansätze bringen unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich.

Separate Innovationseinheiten

Nachdem separate Innovationseinheiten in vergangenen Sparwellen oft abgeschafft wurden, sieht man sie nun wieder vermehrt – oftmals benannt mit Begriffen wie «Unternehmensentwicklung» oder «Digital» (Abb. 1A). Absicht dieses Ansatzes ist es, die für Agilität nötigen Kompetenzen, Methoden, IT-Werkzeuge und Kulturen in einer Einheit zu zentralisieren: Dort werden Veränderungsprojekte initiiert und vorangetrieben. Dies ist insbesondere Erfolg versprechend, wenn die neuen Dienstleistungen, Produkte oder Geschäftsmodelle neben dem bestehenden Geschäftsmodell positioniert werden sollen. Jedoch besteht die Gefahr, dass die Einheiten zu stark vom restlichen Geschäftsablauf abweichen. Die Überführung der angerissenen Projekte ins Business stellt die schwierigste Herausforderung dar: Wurden die neuen Ideen im Elfenbeinturm entwickelt? Passen sie gar nicht zur bestehenden Welt? Blockieren die etablierten Bereiche nach dem Motto

«Not invented here»? Die Konzentration der Agilität in einem separierten Unternehmensbereich sorgt dafür, dass sich Parallelkulturen bilden. Für einen schnellen Anschub kann das durchaus hilfreich sein. Auf lange Sicht gerät dies zum Nachteil: Es wird fast unmöglich, die Barrieren zwischen beiden Kulturen zu verringern. Neben den erwähnten Kostenaspekten ist dies ein weiterer Grund, warum in der Finanzindustrie zuvor separierte Abteilungen der Unternehmensentwicklung periodisch reintegriert werden.

Matrixorganisation

Bei dieser Organisationsform werden agile Veränderungsvorhaben in einer Matrixstruktur über die für Effizienz verantwortlichen Bereiche gelegt (Abb. 1B). So schlägt Kotter3 ein «paralleles Betriebssystem» aus Start-up ähnlich vernetzten Freiwilligen vor. Dort wird eine klassische, hierarchische Organisation von einer zweiten Organisation aus freiwilligen, für agile Veränderungen zuständigen Mitarbeitern überlagert. Dies ähnelt der traditionellen hierarchischen Silo-Organisation, die mit Projekten überlagert wird. Diese Organisationsform scheint der heutige «Goldstandard der Finanzindustrie» zu sein. Es ist von Vorteil, wenn die Veränderungsprojekte durch eine gute Teamzusammensetzung «geerdet» sind und jeder Mitarbeiter die Chance hat, die beiden Rollen selbst wahrzunehmen. Gerade mittlere Hierachiestufen können sich jedoch oft nicht vom Tagesgeschäft freispielen.

3 Accelerate, John P. Kotter, Harvard Business Review, August 2012

Komponentenorientierte Organisation

Dieses Modell lehnt sich an das IT-Prinzip lose gekoppelter modularer Einheiten an und setzt Konzepte wie funktionsübergreifende Teams und DevOps um (Abb. 1C). Hier wird das ganze Unternehmen in möglichst unabhängige Module strukturiert, die ausschließlich über präzise definierte IT-Schnittstellen interagieren und ähnlich wie bei Legosteinen flexibel genutzt und zusammengesetzt werden können. Zusätzlich kann eine Optimierung auch innerhalb der Komponenten einfacher vonstattengehen, da weniger Abhängigkeiten zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus eröffnen sich Möglichkeiten, Schnittstellen nicht nur weiteren Komponenten, sondern auch anderen Unternehmen anzubieten, um neue Einnahmequellen zu erschließen.

In diesem Modell trägt jede Komponente die Konflikte der Ambidextrie selbst aus. Wenn es gelingt, das Unternehmen in solche lose gekoppelten und möglichst atomare Module zu zerlegen, ist dieses Modell sehr Erfolg versprechend. Falls nicht alle Unternehmensteile derart strukturierbar sind, kann es auch eine Option sein, dieses Modell lediglich in geeigneten Bereichen einzuführen. Ein Vorteil ist die Nähe von Entwicklung und Betrieb, von Veränderung und Optimierung. Stehen jedoch disruptive Veränderungen an, die mehrere Komponenten gleichzeitig betreffen, verstellt der eingeschränkte Horizont letzterer eventuell den Blick.

Greenfield-Ansatz

Bei Anzeichen disruptiver Veränderungen sollten bestehende Geschäftsmodelle komplett überprüft werden. Resultieren könnten diese z. B. aus Modifikationen auf Kundenseite, aus neuen Technologien oder regulatorischen Vorschriften. Sollte sich die bestehende Organisation zudem durch große Beharrlichkeit auszeichnen, ist möglicherweise keines der zuvor genannten Modelle der Königsweg. Beim Greenfield-Ansatz werden neben einer bestehenden Organisation parallel ein neues Geschäftsmodell und eine neue Organisation aufgebaut. Anschließend werden bestehende Kunden, Mitarbeiter und Werte migriert (Abb. 1D).

Beispiele aus der Finanzindustrie sind noch rar, jedoch konnte man solche Konzepte beim Niedergang der Stahlindustrie, beispielsweise bei der Entwicklung der Preussag zur TUI oder heute im Zuge der Energiewende in Deutschland beim Umbau der klassischen Versorgungsunternehmen beobachten.

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Fazit

Aus Sicht etablierter Finanzdienstleister besteht die Herausforderung der Ambidextrie zumeist in der Verbesserung der Agilität. Die Herausforderung agiler zu werden und zugleich effizient zu sein, muss auf oberster Stufe angegangen werden. Neben kulturellen Aspekten, Methoden und Technologie ist die (Aufbau-)Organisation ein wesentlicher Faktor. Die aufgezeigten vier Modelle sind bewusst vereinfacht dargestellt. Sie können in der Realität auch kombiniert oder teilweise angewandt werden. Standardlösungen sind nicht pauschal übertragbar und fallbezogene

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Silvan Stüssi

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